Die Dissertation ist gesperrt bis zum 31. Dezember 2026 !
Hören ist ein komplexer sensorischer Prozess, bei dem Schallwellen über das Außenohr aufgenommen, im Mittelohr verstärkt und im Innenohr in elektrische Signale umgewandelt werden. In der Cochlea erfolgt diese Transduktion durch spezialisierte Haarzellen im Corti-Organ, die mechanische Schwingungen in neuronale Impulse umwandeln. Diese Signale werden über den Hörnerv an zentrale auditorische Strukturen weitergeleitet. Eine präzise synaptische Übertragung von inneren Haarzellen auf die Spiralganglionneurone ist essenziell für die korrekte Wahrnehmung von Lautstärke, Tonhöhe und Schallrichtung, aber vor allem für Sprachverstehen.
Die hereditäre Hörstörung DFNB9 ist eine autosomal-rezessiv vererbte Form der angeborenen, nicht-syndromalen, sensorineuralen Taubheit und wird durch Mutationen im OTOF-Gen verursacht. Dieses Gen codiert für Otoferlin, ein Schlüsselprotein für die synaptische Exozytose in inneren Haarzellen. Je nach Art und Schwere der Mutation führt DFNB9 zumeist zu einem milden bis moderaten Hörverlust mit erhaltenem Sprachverstehen oder zu kompletter kongenitaler Taubheit mit vollkommenem Verlust des Sprachverstehens.
Derzeit basiert die klinische Therapie hauptsächlich auf der Verwendung von Cochlea-Implantaten, welche die gestörte synaptische Übertragung umgehen und eine direkte elektrische Stimulation des Hörnervs ermöglichen. Kürzlich konnten in ersten klinischen Studien bei einigen DFNB9-betroffenen Kindern durch Gentherapie die Hörschwellen fast bis zum Niveau des normalen Hörens wiederhergestellt werden. Trotz dieser vielversprechenden Ergebnisse bestehen weiterhin erhebliche Wissenslücken hinsichtlich der Pathophysiologie OTOF-assoziierter Hörstörungen, insbesondere in Bezug auf die Funktion der äußeren Haarzellen. Daher ist eine detaillierte phänotypische Charakterisierung verschiedener Otof-Mausmodelle unerlässlich, um die Sicherheit und Wirksamkeit zukünftiger Gentherapien für den Menschen zu optimieren.
In der vorliegenden Doktorarbeit soll ein Mausmodell mit der beim Menschen am häufigsten vorkommenden OTOF Mutation, p.Gln829Ter, eingehend studiert werden. Ziel dieser grundlagenorientierten Arbeit ist es, den Phänotyp dieser Variante umfassend zu analysieren, um den optimalen Therapiezeitpunkt besser eingrenzen und potenzielle Nebenwirkungen vermeiden zu können.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Evaluierung alternativer Methoden zur Analyse gentherapierter Innenohren. Während die konventionelle Whole-Mount-Präparation des Corti-Organs häufig zur immunhistochemischen Auswertung herangezogen wird, ist sie mit erheblichem technischem Aufwand verbunden und kann zu Gewebeverlusten führen.
In dieser Arbeit wurde die Methode des Gewebeklärens (Tissue Clearing) systematisch untersucht und an die murine Cochlea angepasst. Beim Tissue Clearing handelt es sich um ein Verfahren, bei dem refraktive Unterschiede ausgeglichen werden, um die Lichtstreuung in intaktem Gewebe zu minimieren und so eine tiefere optische Durchdringung zu ermöglichen. Die Methode wurde gezielt für die Anwendung an Innenohrpräparaten optimiert, um die dreidimensionale Visualisierung und Quantifizierung der Otoferlin-Expression bzw. der Integrität der Haarzellen nach Gentherapie ohne die strukturelle Zerstörung des Gewebes zu ermöglichen.
Im abschließenden Teil der Arbeit wird der Frage nachgegangen, ob DFNB9-betroffene Individuen eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Lärmexposition aufweisen. Da bekannt ist, dass otoakustische Emissionen bei DFNB9-Patient:innen in der Regel innerhalb der ersten zwei Lebensjahrzehnte verloren gehen, liegt die Hypothese nahe, dass äußere Haarzellen durch die fehlende synaptische Aktivität anfälliger gegenüber akustischem Stress sind. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, zu klären, ob durch die fehlende efferente Inhibition während der Lärmexposition die äußeren Haarzellen ihre Funktion verlieren oder ob es zu einem tatsächlichen Zelltod dieser Haarzellen kommt. Mittels kontrollierter Lärmtrauma-Experimente an Otof-Mausmodellen wurde diese Fragestellung untersucht und somit ein Beitrag zur Entwicklung differenzierter Behandlungsstrategien für DFNB9-Betroffene geleistet.