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2021 führte das Perinatalzentrum Tübingen eine Studie mit dem Ziel durch, die
geburtsfördernde Effektivität des Rizinusöls mit anderen in der Leitlinie
uneingeschränkt empfohlenen Einleitungsoptionen zu vergleichen (Dorothee
Christine-Marie Hoffmann, 2021). Während kein statistisch signifikanter Unterschied
im Vergleich zu anderen Einleitungsmethoden im Auftreten von kindlichen und
mütterlichen Komplikationen festgestellt werden konnte, zeigte die Analyse, dass nach
einer Wehencocktail-Einleitung bis zur Geburt verstärkt weitere Einleitunsmethoden
bei den folgenden Geburtsinduktionen erforderlich wurden. Das Einleitungs-Geburts-
Intervall in der Gruppe mit initialem Wehencocktail zeigte sich gegenüber der
Kontrollgruppe ohne Wehencocktail signifikant verlängert. Die multivariante Analyse
ergab, dass bei Erstgebärenden die Einnahme eines Wehencocktails mit einer
erhöhten Chance einer spontanen Geburt assoziiert war (Dorothee Christine-Marie
Hoffmann, 2021).
Die zentrale Frage dieser Arbeit war, ob sich die Ergebnisse im Patientinnenkollektiv
eines Regel- und Grundversorgers reproduzieren lassen. Ziel war es auch in diesem
Kollektiv zu zeigen, ob eine Geburtseinleitung per Wehencocktail ein effektives Mittel
zur Geburtseinleitung darstellt und ob der Wehencocktail eine vaginale Geburt im Low
Risk Kollektiv fördert. Marker um dies festzustellen sind die Anzahl der
Einleitungsversuche, das Intervall zwischen der ersten Einleitung und der Entbindung,
die gesamte Aufenthaltsdauer, der Geburtsmodus, der APGAR und pH-Wert, sowie
die Inzidenz von Geburtskomplikationen.
In diese Studie wurde ein Gesamtkollektiv von insgesamt 1125 Mutter-Kind Paaren
eingeschlossen. Von diesen erhielten 442 (39,3%) einen Wehencocktail beim ersten
Einleitungsversuch, 683 (60,7%) erhielten initial eine andere Einleitungsmethode.
Durchschnittlich war die Patientin 31 Jahre alt (Tabelle 4). In der Wehencocktailgruppe
lag der BMI im Median bei 30, in der Referenzgruppe bei 31,0 (Tabelle 5). Dabei wurde
der Wehencocktail bei Nulliparität in 37,5% der Fälle und bei Multiparität bei 41,7% der
Fälle gegeben (Tabelle 7).
Die Anzahl der Einleitungsversuche war in der Wehencocktailgruppe deutlich geringer
als in der Referenzgruppe (Tabelle 9). Dies führte zu einem kürzeren Einleitungs-
Geburtsintervall, im gesamten Kollektiv betrug es 30,5 Stunden. Innerhalb der
Wehencocktailgruppe betrug die Zeit von der ersten Einleitung bis zur Entbindung 26,8
Stunden, durchschnittlich war die Zeit bis zur Geburt in der Referenzgruppe damit 6
Stunden länger (Tabelle 14). Die Inzidenz eines Spontanpartus lag in der
Wehencocktailgruppe mit 69,7% signifikant höher als in der Vergleichsgruppe (Tabelle
16).
Im Bezug auf das maternale oder fetale Outcome konnte für den Wehencocktail
gegenüber anderen Einleitungsmitteln kein Nachteil in der univariaten Analyse
festgestellt werden: Der APGAR Wert nach 5 Minuten (Tabelle 18), der arterielle pH-
Wert des Nabelschnurblutes postpartal (Tabelle 19/20), sowie die Inzidenz von
Komplikationen (Tabelle 21) waren in den zwei Kollektiven, Wehencocktailgruppe und
Referenzgruppe, nicht unterschiedlich.
Betrachtet man die Kollektive, so kann festgehalten werden, dass diese nicht
heterogen sind und teilweise erhebliche Unterschiede aufweisen, aus welchen
ungünstige initiale Ausgangslagen für eine erfolgreiche schonende Geburtseinleitung
entstehen könnten. So war der BMI in der Wehencocktailgruppe statistisch signifikant
geringer. Es wurde im Z.n. Sectio deutlich seltener ein Wehencocktail gegeben
(Tabelle 8). Die Patientinnen der Wehencocktailgruppe waren durchschnittlich weniger
adipös (Tabelle 5) und die Schwangerschaft war in deutlich fortgeschritteneren
Gestationsalter (Tabelle 10)
Die Einleitungsindikation war häufiger vorzeitiger Blasensprung, welcher genauso wie
ein erhöhtes Gestationsalter mit einer günstigen Grundlage für eine Geburtseinleitung
assoziiert ist. Der Wehencocktail wurde seltener bei suspektem CTG,
Oligohydramnion, HSE, maternalen Erkrankungen, Diabetes mellitus oder
abnehmenden Kindsbewegungen gegeben (Sven Kehl et al., 2016). Letzter
Indikationen führen häufiger zu Geburtskomplikationen (AWMF, 2021, AWMF, 2014).
Die beschriebenen signifikanten Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen in
Bezug auf die Einflussfaktoren können als systematische Verzerrungen (Bias)
interpretiert werden, die zu einer verfälschten Interpretation der Ergebnisse führen
könnten. Um den Effekt des Wehencocktails auf die Zielvariablen (Outcome)
unabhängig von den Determinanten genauer zu bestimmen, wurde eine multivariate
Analyse vorgenommen.
Diese ergab in beiden Modellen, Erstparität und Multiparität, dass die Gabe eines
Wehencocktails zu weniger Einleitunsversuchen und einer kürzeren Verweildauer in
der Klinik führt. Entsprechend der Erwartungen aus der univariaten Analyse kann die
initiale Gabe eines Wehencocktails im logistischen Multiregressionsmodell mit einer
erhöhten Rate an Spontangeburten bei Erstparität korreliert werden. Diametral
unterschiedliche zeigt sich das multivariate Regressionsmodell der Mehrgebärenden:
Hier bestand kein signifikanter Einfluss des Wehencocktails auf das Auftreten einer
Spontangeburt (Tabelle 26/27).
Der in der universitären Frauenklinik Tübingen festgestellte positive Effekt des
Wehencocktails, dass die Einnahme eine Anregung der körpereignen
Geburtsprozesse auslöst und damit ein interventionsfreier und physiologischer
Prozess beginnt (Dorothee Christine-Marie Hoffmann, 2021), konnte durch diese
Studie auch in einem Grund- und Regelversorger mit einem Patientenkollektiv mit
niedrigem Risiko beobachtet werden. Auch konnte beobachtet werden, dass parallel
zu den Ergebnissen der universitären Frauenklinik Tübingen, bei Multiparität ein
positiver Einfluss des Wehencocktails auf die Inzidenz eines Spontanpartus nicht
beobachtet werden kann. Das ist gegensätzlich zu hinreichenden Wissenlage, dass
Mehrgebärende eine per se bessere Chance auf einen Spontanpartus haben
(Dorothee Christine-Marie Hoffmann, 2021). Allerdings ist dabei denkbar, dass der
Wehencocktail in diesem Kollektiv keinen zusätzlichen Nutzen generieren kann, also
der Faktor „Mehrgebärende“ als Faktor die Wirkung des Wehencocktails überstrahlt.
Wichtig ist, dass auch bei Mehrgebärenden kein gegenüber anderen
Einleitungsmethoden erhöhter negativer Effekt beobachtet werden konnte. Offen bleibt
eine Untersuchung der subjektiven Akzeptanz eines Wehencocktails der Gebärenden
und deren Zufriedenheit mit der gewählten Methode.
Im Vergleich zum Kollektiv der Universitäts-Frauenklinik Tübingen erfolgte eine
Geburtseinleitung im Bietigheim-Bissinger Kollektiv nur in einem engeren (oben
erwähnten) Rahmen, welcher schlussendlich ein Bias darstellt. Auch die
Vergleichbarkeit der Dosierung bzw. Zusammensetzung des nicht standardisierten
Wehencocktails ist flächendeckend im besten Fall fragwürdig.
Von allen eingeschlossenen Patientinnen, die nur einen Einleitungsversuch
benötigten, kam es bei 68,1% nach Gabe eines Wehencocktails zur Geburt (301 bei
n=608). Bei den Patientinnen, die im Rahmen des ersten Einleitungsversuchs einen
Wehencocktail erhielten lag der Anteil der Spontangeburten mit 69,7% (308) signifikant
höher als in der Vergleichsgruppe mit 60,5% (413) (p < 0,002). Zudem wurde in der
Wehencocktailgruppe deutlich seltener ein Kaiserschnitt durchgeführt (19% bzw. 84
Fälle im Vergleich zu 25,8% bzw. 176 Fälle, p < 0,009).
Die Analyse der Daten dieser Arbeit zeigt die Notwendigkeit weiterer Forschung auf
diesem Gebiert in Form einer randomisierten prospektiven doppel-blind Studie.. Eine
solche Studie stellt jedoch in der Geburtshilfe ein ethisches Dilemma dar, da es sich
streng genommen um eine Medikamentenstudie handelt und solche am Kollektiv
Schwangerer nur schwer durchführbar und mit hohen Kosten verbunden sind.
Die Schlussfolgerung dieser Dissertation ist, dass eine Geburtseinleitung mit einem
Wehencocktail an einem Grund- und Regelversorger mit dem entsprechenden Niedrig-
Risiko Klientel ab der 38+0 SSW mit den o.g. Selektionskriterien eine sichere und
effektive Einleitungsoption darzustellen scheint. |
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