Einbeziehung von Angehörigen in Therapieentscheidungen am Lebensende auf einer internistischen Intensivstation

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Zitierfähiger Link (URI): http://hdl.handle.net/10900/89732
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-dspace-897321
http://dx.doi.org/10.15496/publikation-31113
Dokumentart: Dissertation
Erscheinungsdatum: 2019
Sprache: Deutsch
Fakultät: 4 Medizinische Fakultät
Fachbereich: Medizin
Gutachter: Riessen, Reimer (Prof. Dr. med.)
Tag der mündl. Prüfung: 2019-01-28
DDC-Klassifikation: 610 - Medizin, Gesundheit
Schlagworte: Intensivstation , Therapieabbruch , Entscheidungsfindung , Qualität , Fragebogen , Angehöriger
Freie Schlagwörter:
end-of-life care
shared decision making
Lizenz: http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_ohne_pod.php?la=de http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_ohne_pod.php?la=en
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Inhaltszusammenfassung:

In der Therapie am Lebensende auf Intensivstationen konzentriert sich die gegenwärtige Forschung zunehmend auf die Angehörigen des Patienten, da diese eine entscheidende Schnittstelle zwischen dem schwerstkranken Patienten und dem zuständigen Behandlungsteam darstellen. Unvorhergesehen übernehmen sie in diesen Akutsituationen stellvertretend für den Patienten zahlreiche Rollen und Entscheidungen und sind besonders in den Fällen, in denen der Patient bewusstlos ist, eine wichtige Informationsquelle, wenn es darum geht, den Patientenwillen zu eruieren. Ziel dieser Arbeit war es, die aktuelle Situation der Angehörigen auf Intensivstationen, speziell ihre Rolle bei Entscheidungsfindungen zur Therapiebegrenzung zu erfassen. Zudem interessierte, wie sie die Qualität der Intensivstation einstufen, bzw. in welchen Bereichen Verbesserungsbedarf besteht. Es wurde weiterhin untersucht, inwiefern die Behandlung des Patienten auf der Intensivstation auch noch einige Monate später auf Angehörige wirkt und welche psychischen Belastungen sich beschreiben lassen. Schließlich sollte in einer ersten Pilotphase ein neuer deutscher Angehörigenfragebogen für die Therapie am Lebensende weiterentwickelt werden. Die Studie bestand aus einer sechsmonatigen prospektiven Beobachtungsstudie mit einer dazugehörigen Angehörigenbefragung sowie einer davon inhaltlich und zeitlich unabhängigen Angehörigenbefragung zur Testung eines neuen deutschen Angehörigenfragebogens auf Relevanz und Verständlichkeit. Von 790 im Studienzeitraum stationär behandelten Patienten auf der Intensivstation erhielten 181 (23%) eine Therapiebegrenzung. Die Mortalität auf der Intensivstation betrug 14%, die Krankenhausmortalität 17%. 26% der Patienten mit Therapiebegrenzung überlebten den Krankenhausaufenthalt. Nur 29% der Patienten galten als entscheidungsfähig, in 22% der Fälle lag eine Patientenverfügung und in 20% eine Betreuung vor. Unter diesen Voraussetzungen konnten dennoch in 88% der Fälle die Behandlungswünsche des Patienten ermittelt werden, wobei Angehörige hierin zu 91% Hauptinformationsquelle waren. Fast immer wurde dabei nach dem Modell der gemeinsamen Entscheidungsfindung („shared decision making“) kommuniziert. Initiatoren der Therapiebegrenzung waren zu 80% die Ärzte. Hauptgrund zur Begrenzung war in 38% der (stellvertretend geäußerte) Wunsch des Patienten, in 26% ein Nicht-Ansprechen auf die Therapie. Als Hauptüberlegungsgrund stellte sich in etwas mehr als der Hälfte eine gute medizinische Praxis und in einem Viertel der Fälle die Wahrung der Autonomie des Patienten dar. Im Median verging ein Tag bis zur ersten Therapiebegrenzung auf der Intensivstation. Drei Monate nach der Therapie am Lebensende evaluierten 47 Angehörige dieser Studienpopulation ihre Erlebnisse auf der Intensivstation und waren mit der Qualität der Behandlung und dem Einbezug in die Therapie am Lebensende sehr zufrieden. Positiv wurden die allgemeine Atmosphäre auf der Intensivstation, das Auftreten der Mitarbeiter und die Symptomkontrolle bewertet. Auch dem Bedürfnis nach Information wurden die Mitarbeiter der Intensivstation gerecht. Bereiche, die mit negativen Antworten assoziiert waren, waren unter anderem die Häufigkeit der Information, die emotionale / psychische Unterstützung, die Atmosphäre im Wartezimmer, sowie die Wartezeiten im Eingangsbereich oder nützliche Informationsbroschüren. Des Weiteren zeigte sich in einer Einschätzung der psychischen Belastung unter 43 Rückmeldungen, dass Angehörige drei Monate nach der Behandlung des Patienten auf der Intensivstation immer noch mit Konsequenzen zu kämpfen haben. 37% der befragten Angehörigen zeigten eine erhöhte grundsätzliche psychische Belastung, 45% von ihnen Symptome einer Depressivität. Bei 34% waren Anzeichen einer Angststörung präsent und 28% gaben Merkmale einer Somatisierungsstörung an. Ehepartner und ältere Angehörige waren dabei tendenziell stärker gefährdet. Schließlich konnte ein neuer Angehörigenfragebogen für die Therapie am Lebensende auf Intensivstationen in einer ersten Pilotphase für den Einsatz in Deutschland übersetzt und weiterentwickelt werden, wobei weitere Schritte in der Validierung zum endgültigen und flächendeckenden Einsatz notwendig sind. Zusammenfassend sind Angehörige ein elementarer Bestandteil der modernen Intensivmedizin und ihr Einbezug in die Therapie am Lebensende bleibt nicht ohne Konsequenzen. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit dienen als wichtige Basis, um in weiteren Studien die Rolle der Angehörigen auf Intensivstationen genauer zu analysieren, um ihnen die nötige Aufmerksamkeit in einer familienzentrierten Therapie auf Intensivstationen zuteilwerden zu lassen, um psychische Folgeschäden zu vermindern und um damit insgesamt die Behandlungsqualität in der Therapie am Lebensende zu verbessern.

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