Praktiken und Inszenierungen in der ungarischen Begräbniskultur von 1940 bis 2002 - Am Beispiel der Gemeinde Moor

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Zitierfähiger Link (URI): http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-9484
http://hdl.handle.net/10900/47279
Dokumentart: Dissertation
Erscheinungsdatum: 2003
Sprache: Deutsch
Fakultät: 6 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Fachbereich: Sonstige - Sozial- und Verhaltenswissenschaften
Gutachter: Jeggle, Utz
Tag der mündl. Prüfung: 2003-10-15
DDC-Klassifikation: 390 - Bräuche, Etikette, Folklore
Schlagworte: Sterben , Tod , Trauer , Ungarn , Ritus
Freie Schlagwörter: Begräbniskultur
Dying , Death , Grief , Hungary , Rituals
Lizenz: http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=de http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=en
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Inhaltszusammenfassung:

Die Begräbnis- und Trauerrituale in der ländlich-bäuerlich geprägten ungarischen Kleinstadt Moor wurden in drei fortlaufenden Zeiträumen von 1940 bis 2002 (Präsozialismus, Sozialismus, Postsozialismus) untersucht. Der zentrale Forschungsgegenstand war der Verstorbene und sein Umfeld, wobei der Themenkomplex "Sterben-Tod-Trauer" als Leitgedanke diente. Nach dem Zweiten Weltkrieg wirkten sich die dramatischen politische Veränderungen auch auf das Alltagsleben und die Brauchtumsformen der Moorer Bevölkerung aus. Dabei spielte die Vertreibung der Deutschstämmigen eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus forderte die Formierung des kommunistischen Regimes eine weitgehende Anpassung der Alltagsrituale. Vor allem den traditionsorientierten und pflichtbewussten Moorern bedeutete der Umgang mit den Toten und ihre würdige Bestattung in diesen Jahren eine Herausforderung. Die facettenreiche Handlungsstruktur, die in friedlichen Zeiten der Bewältigung des Todes diente, konnte nicht traditionsgemäß realisiert werden. Die nachbarschaftliche Hilfe beim Sterben gehörte zur Ausnahme. In Notsituationen verließ man sich auf den engsten Familienkreis und nahestehende Freunde. Das im Dorf anerkannte Bestattungsunternehmen der Familie Jánni sorgte für einen reibungslosen Ablauf der Beerdigungsrituale nach den althergebrachten Praktiken. Es wirkte auch bei besonderen Bestattungsbräuchen bei Jugendlichen und Selbstmördern mit. Auf die politisch und gesellschaftlich unruhigen Jahre folgte der gezielte und systematische Aufbau des Sozialismus. Die sozialistischen Reformen lösten die alten traditionellen Arbeitsformen der ländlich-bäuerlichen Dorfbewohner ab. Der würdevolle Umgang mit den Sterbenden und Toten war in diesem Zeitraum auf zwei gesellschaftlichen und kulturellen Ebenen durch zwei Institutionen gesichert. Auf der einen Seite stand das sozialistische Regime, das die einzig gültige Form des letzten Abschieds auf der Grundlage seiner atheistischen Ideologie propagierte. Auf der anderen Seite bot die christliche Gemeinde den Hinterbliebenen bei den Bestattungsangelegenheiten ihre Hilfe an. Die Eröffnung des Krankenhauses brachte weitere einschneidende Änderungen der brauchtümlichen Abschiedsrituale und –praktiken mit sich, auch wenn sich die Lebensqualität insgesamt dadurch verbesserte. Tote wurden direkt von der Station auf den Friedhof überführt. Dies wurde bald darauf auch bei Todesfällen zu Hause praktiziert. Die letzte Möglichkeit von den Verstorbenen Abschied zu nehmen war dann erst auf dem Friedhof im Rahmen der Begräbniszeremonie. Die sozialistische Bestattung eines verstorbenen Parteimitgliedes wurde im Namen der Moorer Kommunistischen Partei organisiert. Die Trauerreden dienten vorwiegend dem Zweck, die sozialistische Weltanschauung zu festigen. Den durchritualisierten sozialistischen Beisetzungen standen die kirchlichen Abschiednahmen gegenüber, die für viele Moorer das einzig gültige Ritual blieb. Erschwerend war jedoch die Umstellung der Kirchensprache von Latein auf Ungarisch Mitte der 60er Jahre. Die Olah- und Romungro-Roma konnten ihre traditionellen Bestattungsbräuche auch in den sozialistischen Jahrzehnten fortsetzen. Ihre wirtschaftliche Lage hatte sich unter der sozialistischen Herrschaft teilweise verbessert, so ihre Bestattungsrituale bis Ende der 80er Jahre immer prachtvoller ausfielen. Dabei kam der Zigeunermusik eine bedeutende Rolle zu. Seit Mitte der 80er Jahre und insbesondere nach dem Systemwechsel 1989 kam es zu dynamischen Entwicklungen, die radikale Änderungen in allen Lebensgebieten mit sich brachten. Dies hatte auch einen veränderten Umgang mit den Toten sowie die Umgestaltung der Sterbe-, Begräbnis- und Trauerrituale zur Folge. Aus dem sozialistischen "Familienbüro" entstanden zwei private Bestattungsunternehmen. Herr Jánni konnte hingegen trotz seiner langjährigen Erfahrungen als Bestatter wegen fehlenden Startkapitals das Geschäft nicht weiterführen. Vom Sterbebett bis ins Grab wurde der Tote nun durch Professionelle verwaltet. Die überwiegende Mehrheit der Hinterbliebenen nahm in dieser Situation die Dienstleistungsangebote der Bestattungsunternehmen in Anspruch. Die Roma waren nur insoweit an diesen Angeboten interessiert, wenn dies ihrem Glauben und ihren Wertvorstellungen entsprach. In den postsozialistischen Trauerritualen vermischten sich traditionelles Trauerverhalten mit offenen Trauerformen der sozialistischen Phase. Dieses Zusammentreffen verursachte eine Lockerung der traditionellen Trauerregeln und trug zur Herausbildung von modernen und individuellen Ausdrucksformen der Trauerbewältigung bei.

Abstract:

Burial and grief rituals were studied in the rural-influenced small city Moor (Hungary), for three different periods (presocialism, socialism and postsocialism) from 1940 to 2002. The main research topic was the deceased person and her milieu. Hereby was the theme complex "Dying-Death-Mourning" the leading concept. After the Second World War, dramatic political changes affected everyday life and traditions of Moor´s inhabitants. The expulsion of German descendants had a key role in this process. Furthermore, the formation of the communist regime demanded a widespread adaptation of every day rituals. For the conscientious and tradition-oriented inhabitants, the burial of their death relatives represented a challenge. The ritual structures, which in time of peace helped to overcome grief, were impossible to continue in the old traditional ways. Help from neighbors during dying situations was exceptional. In hours of need, people found support with the nearest relatives and friends. The funeral undertakers "Jánni Family" was recognized in town, and they looked after a smoothly course of burial ceremonies, also following old practices. They worked as well during funerals of young persons and people who committed suicide. After the agitated political and social years, the systematic and deliberated construction of socialism followed. Socialist reforms eradicated the traditional and rural working organization. Dealing with death and dying during this time was possible with help of two institutions for two different social and cultural levels. On one side was the socialist regime propagating the atheist ideology as the only valid form of burying. On the other hand, offered the Christian community some help to the bereaved during the funeral. The inauguration of the hospital brought significant changes in burial practices and rituals, although this event represented a major improvement in life quality for the town inhabitants. Death persons were directly transferred from the hospital to the cemetery. This practice was soon carried out also during death events at home. The last possibility to saying good-bye was subsequently in the cemetery during the burial ceremony. The Communist Party in Moor organized the socialist funerals for its members. Funeral orations served principally to consolidate the socialist Weltanschauung. This form of burial confronted the religious rituals, which many Moor´s inhabitants considered nevertheless the only valid funeral form. An added difficulty was the change of the liturgical language from Latin to Hungarian in the sixties. The Olah and Romungro gypsies were able to continue their burial practices and traditions. Their financial situation was improved during the socialist rule, showing splendid funerals all through the eighties. With it gypsy music obtained an important role. Since the middle of the eighties and especially during the Wall Fall in 1989, significant developments brought radical changes in all subjects of life. This process transformed the relations to death, as well as the rituals related to dying, funerals and mourning. The socialist "Family Office" developed into two different private funeral directors. Although Mr. Jánni had a long experience, he could not continue directing one of the undertakers, because he lacked of the needing starting capital. From deathbed to grave, professionals accompanied the death person. The majority of the bereaved took overwhelming the offered services of the new companies. In this respect, the gypsies were interested on these services, as long as they corresponded to their believes and concepts of values. For the post socialist mourning rituals, traditional grief behaviors mixed with open mourning forms from the socialist period. This convergence caused a relaxation of the traditional grief rules and contributed to the development of modern and individual forms of expression as well as grief overcoming.

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