Inhaltszusammenfassung:
Die kriminologische Langzeitforschung zeigte immer wieder einen deutlichen Zusammenhang zwischen sozialer Auffälligkeit in einer Lebensphase und sozialer Auffälligkeit in einer nachfolgenden Lebensphase auf. Dieses 'Kontinuitätsparadigma', das die theoretischen Erklärungsversuche dominierte, wurde in den letzten Jahren zunehmend problematisiert. Zentral für eine aktuelle Kontroverse ist dabei die Frage, ob jede Form von Delinquenz mit frühen individuellen Differenzen, die im Lebenslauf stabil bleiben, erklärt werden kann, oder ob aktuelle Einbindungen den weiteren Lebensverlauf verändern und zu Wendepunkten in der Delinquenzentwicklung führen. Diese Kontroverse bildet den Hintergrund für die vorliegende Analyse der Delinquenzentwicklung junger Wiederholungstäter aus der Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung (TJVU). Unsere Ergebnisse zeigen erstens, dass bei einer lebensgeschichtlichen Betrachtung Brüche und Veränderungen im Legalverhalten unverkennbar sind, zweitens, dass Individuen trotz unterschiedlicher Sozialisationsbedingungen in Kindheit und Jugend eine ähnliche Kriminalitätsentwicklung in ihrer Erwachsenenphase aufweisen können, und drittens, dass ein Ausstieg aus offizieller strafrechtlicher Auffälligkeit einhergeht mit einem Einstieg in einen normkonformen Lebensstil. Über Abbruch und Kontinuität sozial auffälligen Verhaltens entscheiden jeweils die aktuellen sozialen Einbindungen. Unsere Analysen verweisen somit nicht nur auf die eingeschränkte Reichweite von Erklärungen, die lediglich auf der Frühgeschichte der Probanden basieren, sondern sie stützen theoretische Ansätze, die aktuelle Lebensumstände und Lebensstile für die Erklärung von sozialer Auffälligkeit heranziehen.