Inhaltszusammenfassung:
Das Ziel dieser Arbeit war es zu evaluieren, ob Patienten, die an einer Dystonie erkrankt
sind, häufiger an einer Riechstörung leiden als die Allgemeinbevölkerung. Die Frage ist vor
allem vor dem Hintergrund interessant, da dieselben zerebralen Strukturen (Basalganglien,
Kleinhirn, Teile des Thalamus und des sensomotorischen Kortex) für die Verarbeitung
olfaktorischer Reize und pathophysiologisch für die Entstehung einer Dystonie
verantwortlich sind. Dieser potenzielle Zusammenhang soll insbesondere deshalb ergründet
werden, da für andere Basalganglienerkrankungen wie das idiopathische Parkinson
Syndrom und die Lewy-Body-Demenz eine evidente Riechstörung ein klinisch wichtiges
nicht-motorisches Symptom ist.
In dieser Arbeit wurde im Speziellem eruiert, ob alle Patienten, die an einer Dystonie litten,
oder nur solche, die an einer spezifischen Variante (zervikale Dystonie, Blepharospasmus,
Schreibkrampf, Meige-Syndrom, andere segmentale Dystonien, multifokale Dystonien)
erkrankt waren, eine erhöhte Prävalenz für eine Riechstörung aufwiesen.
Hierfür wurden im Rahmen einer kontrollierten, prospektiven Studie 133 Patienten
rekrutiert. 117 Patienten waren an einer Variante der Dystonie erkrankt, weshalb sie zum
einem als Gruppe A zusammengefasst und zum anderen je nach Variante nochmals einzeln
ausgewertet wurden. 73 Patienten hatten eine zervikale Dystonie, 17 einen
Blepharospasmus, 11 ein Meige Syndrom, 14 eine andere segmentale Dystonie, sowie
jeweils ein Patient einen Schreibkrampf und einer eine multifokale Dystonie. Als
Kontrollgruppe B konnten 28 Patienten mit Hemispasmus fazialis und ein weiterer Patient
mit fazialen Synkinesien eingeschlossen werden.
Bei allen 133 Patienten wurde eine Testung der Geruchsidentifikation,
Geruchswahrnehmungsschwelle sowie Geruchsdiskrimination anhand von Sniffin Sticks
durchgeführt. Bei 109 Teilnehmern konnte daraus der TDI-Score (threshold-discriminationidentification) errechnet und ausgewertet werden. Dazu wurden 105 gesunde Kontrollpersonen aus der Datenbank der Bewegungsambulanz,
Abteilung molekulare Neurologie, des Uniklinikums Erlangen als zusätzliche
Kontrollgruppe C zur Beurteilung der Geruchsidentifikation einbezogen.
Zwischen allen drei Geruchstestungen zeigten sich weder zwischen den Gruppen- noch
Subgruppenanalysen der einzelnen Dystonievarianten signifikante Unterschiede.
Bei Auswertung der Daten nach den alters- und geschlechtsunabhängigen TDI-Scores,
hatten 42,2% aller Patienten mit Dystonie eine Riechstörung. Entsprechend den vorherigen
Studien zeigten 47,1 % der Patienten mit zervikaler Dystonie nach der altersunabhängigen
TDI-Auswertung eine Störung des Geruchsinns (Marek et al., 2018; Herr et al., 2020).
Auch segmentale Dystonien, die nicht dem Meige-Syndrom entsprachen, hatten in 46,2%
eine altersunabhängige Riechstörung. Die gewählte Kontrollgruppe B wies nach den
gleichen Auswertungskriterien ebenfalls in 34,5% eine Riechstörung auf, sodass die
erhöhte Prävalenz für Riechstörungen bei der Gesamtheit der Dystoniepatienten in dieser
Arbeit nicht signifikant erhöht war. Gleiches galt bei der Beurteilung der jeweiligen
Dystonievariante, wie beispielsweise der zervikalen Dystonie im Vergleich zum
Hemispasmus fazialis.
Es fiel auf, dass vor allem männliche Patienten nach den Kriterien des altersunabhängigen
TDIs gehäuft eine Geruchstörung auswiesen.
Weder in der BoNT-Therapiedauer, dem Vorhandensein von Tremor, in der
Familienanamnese, den Begleiterkrankungen, der Medikation noch der Responsivität auf
Alkohol unterschieden sich die Patienten mit einer Geruchsstörung von den Patienten ohne
Riechstörung.
Wurde der Datensatz nach den Kriterien des alters- und geschlechtsabhängigen TDI-Scores
auf Grundlage der Daten von Hummel et al. analysiert, erfüllten 14 von 138 Patienten die
Kriterien für eine Riechstörung. Zehn hatten eine Dystonie, acht davon eine zervikale
Dystonie. Somit hatten 9% der Gruppe mit Dystonie, und im Speziellen 11,8% der
Patienten mit zervikaler Dystonie eine altersabhängige Riechstörung. Dies entsprach ca. der
Prävalenz von Riechstörungen in der Allgemeinbevölkerung. Nach der alters- und geschlechtsspezifischen Auswertung war die Störung des
Geruchsinnes bei keinem der Geschlechter häufiger.
In keiner Gruppe, Subgruppe oder Diagnose zeigte sich eine signifikante Häufung einer
Anosmie.
Die signifikante Beeinträchtigung des Riechens aufgrund des fortgeschrittenen Alters
konnte in dieser Studie erneut belegt werden.
Zusammenfassend zeigte sich, je nach angewandter Auswertungsmethode, eine
unterschiedliche Prävalenz für eine Riechstörung bei Patienten mit Dystonie. Nach der in
dieser Arbeit bevorzugten Auswertungsmethode der altersgruppen- und
geschlechtsangepassten Normwerte von Hummel et al. ist von keiner
krankheitsspezifischen Riechstörung bei Dystonie auszugehen