Inhaltszusammenfassung:
Viele Kinder und Jugendlichen besitzen und nutzen heutzutage ein Smartphone. Im Jahre der Hauptmessungen 2019 besaßen 93% der über 12-jährigen im Forschungsverbund Südwest ein eigenes Smartphone. Eine der häufigsten Nutzungsformen war die Nutzung von sozialen Interaktionsmedien. Vorangehende Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen Mediennutzung (Fernseher, Computer, Video-Spiele, Smartphones und nicht näher spezifiziert) und reduzierter Schlafdauer. Ausreichend Schlaf spielt jedoch besonders im sich entwickelnden Gehirn eine erhebliche Rolle. Sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen unterstützt Schlaf die Konsolidierung von deklarativen Gedächtnisinhalten. Die Auswirkung der Nutzung von sozialen Interaktionsmedien vor dem Zubettgehen auf das sich entwickelnde Gehirn war Ziel dieser Studie. Es wurden die Hypothesen aufgestellt, dass sich nach der Nutzung von sozialen Medien vor dem Zubettgehen die Einschlaflatenz verlängert (Hypothese 1), der Tiefschlaf reduziert (Hypothese 2) und sich infolgedessen die deklarative Gedächtnisbildung verschlechtert (Hypothese 3).
Zur Untersuchung der Fragestellung wurden 20 gesunde Mädchen und Jungen im Alter von 12 bis 14 Jahren an jeweils 3 Testnächten getestet. Die Kinder und Jugendlichen nutzten nach einer Lernphase, vor dem Zu-Bett-gehen, 45 Minuten lang (I) soziale Medien am Smartphone, (II) lasen ein Buch am Smartphone oder (III) lasen ein Buch. Es handelte sich um ein Within Design, die Reihenfolge der Interventionen erfolgte randomisiert und balanciert. Erfasst wurde die Gedächtnisleistung anhand des Lernens von Wortpaaren vor dem Zubettgehen, die nach der nächtlichen Schlafphase abgerufen wurden. Die Schlafarchitektur wurde anhand von Polysomnographie erfasst. Dabei wurden die Parameter Einschlaflatenz, Gesamtschlaf, Tiefschlaf (SWS), Schlafphase 1 und 2 (S1, S2), rapid eye movement (REM) Schlaf sowie SWS-Latenz und REM-Latenz analysiert. Als Kontrollaufgaben wurde eine Vigilanztestung durchgeführt sowie diverse Fragebögen bearbeitet.
Entgegen unseren Erwartungen konnte nicht gezeigt werden, dass die Einschlaflatenz, der prozentuale Tiefschlaf sowie die Gedächtnisleistung zwischen den drei Interventionsformen statistisch signifikant variierte. Bei der Einschlaflatenz zeigte sich ein Trend, dass die Kinder und Jugendlichen nach der Nutzung von sozialen Medien etwas länger brauchten, um einzuschlafen, als nach den Kontrollinterventionen. Auch die absolute Zeit im Tiefschlaf war nach der Nutzung sozialer Medien statistisch signifikant kürzer als nach dem Lesen im Buch. Es zeigte sich zusätzlich eine statistisch signifikant verkürzte Gesamtschlafenszeit nach der Nutzung (I) sozialer Medien im Vergleich zum (II) Lesen am Smartphone oder (III) Lesen eines Buches. Durch die durchgeführten Kontrollaufgaben konnten von vergleichbaren Bedingungen ausgegangen werden.
Auf Grund der noch sehr dünnen Studienlage mit objektiven Messverfahren wie Polysomnographie oder Aktigraphie sind noch weitere Untersuchungen nötig, um die Ergebnisse besser einordnen zu können. In unserem Studiendesign wurde beispielsweise die Nutzungszeit festgelegt. Dies könnte die Einschlaflatenz positiv beeinflusst haben, die in vorangegangenen Arbeiten nach der Nutzung von sozialen Medien verlängert war. Zudem sollten die Proband:innen nochmals in Subgruppen unterteilt werden. Die verkürzte Gesamtschlafenszeit legt nahe, dass die abendliche Smartphonenutzung bei Kindern- und Jugendlichen limitiert werden sollte, wobei die Ergebnisse bei verringerter Stichprobengröße durch technische Ausfälle vorsichtig zu deuten sind.