Inhaltszusammenfassung:
Unter dem Begriff Sexualität wird ein individuell unterschiedlich erlebtes und über die
reine Fortpflanzung hinausgehendes Grundbedürfnis des Menschen mit großer Relevanz
für die allgemeine Lebensqualität sowie die Zufriedenheit innerhalb einer Partnerschaft
verstanden. In bisherigen Studien gaben viele schwangere Frauen eine subjektive
Abnahme verschiedener Aspekte der Sexualität an, wobei die Ursachen bisher wenig
untersucht wurden. Menstruationszyklus-Studien konnten in zeitlicher Nähe der
Ovulation einen Anstieg verschiedener Aspekte der Sexualität nachweisen, wobei ein
besonderer Einfluss des mittzyklisch erhöhten Sexualhormons Östradiol vermutet wurde,
was jedoch bislang nicht eindeutig bestätigt werden konnte.
Um ein umfassenderes Bild der weiblichen Sexualität zu erhalten, wurde daher in dieser
Studie der Einfluss unterschiedlicher Östradiol-Konzentrationen auf das Annäherungsund
Vermeidungsverhalten in Reaktion auf erotische, positive und aversive Bilder von
Paaren anhand von folgenden drei Gruppen untersucht: Schwangeren-Gruppe (im zweiten
und dritten Trimester) mit supraphysiologischer Östradiol-Konzentration, Östradiol-
Gruppe mit präovulatorischer Konzentration durch Gabe von Östradiolvalerat und
Placebo-Gruppe mit frühfollikulär niedriger Östradiol-Konzentration.
Neben der subjektiven Angabe zur Sexualfunktion mittels Fragebogen wurde in dieser
Studie der Approach-Avoidance Task (AAT) genutzt, um automatische Verhaltenstendenzen
messbar zu machen: Anhand der Schnelligkeit der Drück- und Zieh-Bewegung
eines Joysticks konnten Rückschlüsse auf das Annäherungs-/Vermeidungsverhalten gezogen
werden. Auf die erotischen und positiven Stimuli sollte mit einer schnelleren Ziehbewegung
(im Sinne einer Annäherung) und auf die aversiven Stimuli mit einer schnelleren
Drückbewegung (im Sinne einer Vermeidung) reagiert werden. Im anschließend
durchgeführten Rating Task (RT) sollten die Probandinnen die Attraktivität des Mannes
auf den gleichen Stimuli sowie die Annäherung an diesen Mann bewerten.
Die Datenauswertung zeigte, dass sich die drei Gruppen signifikant in ihrem Östradiolspiegel
unterschieden, mit den höchsten Werten in der Schwangeren-Gruppe. Hinsichtlich
sexueller Annäherung zeigt sich allerdings kein signifikanter Gruppenunterschied im
impliziten AAT. Im expliziten RT bewertete die Östradiol-Gruppe die erotischen Bilder
entgegen der Erwartung signifikant niedriger als die Placebo-Gruppe, es zeigte sich aber
kein signifikanter Unterschied in der Bewertung zur Schwangeren-Gruppe. Ebenso
konnte mittels Fragebogen kein signifikanter Unterschied bezüglich der Sexualfunktion
sowie der Parameter Lust und Erregung zwischen Schwangeren und Nicht-Schwangeren
festgestellt werden. Die Schwangeren gaben sogar eine signifikant höhere Zufriedenheit
mit der eigenen Sexualität im Vergleich zur Östradiol-Gruppe an.
Somit zeigen die aktuellen Daten keine Verringerung im Annäherungsverhalten auf erotische
Stimuli bei schwangeren Frauen, was im Gegensatz zu vielen anderen Studienergebnissen
steht. Entgegen unserer Annahmen bewerteten schwangere Frauen die eigene
Sexualfunktion auch nicht als eingeschränkt und erzielten sogar die höchsten Werte hinsichtlich Zufriedenheit mit der eigenen Sexualität. Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass das Studiendesign (Computeraufgaben; experimentelle Östradiol-Erhöhung)
funktioniert hat, wobei die Rolle des Östradiol nach wie vor unklar bleibt, da hier keine
eindeutigen Ergebnisse aufgezeigt werden konnten. Dies müsste im Rahmen von weiterführenden Studien nochmals genauer untersucht werden.