Der "Festzug der Württemberger" von 1841



Dr. Wilfried Lagler, Universitätsbibliothek Tübingen

Am 28. September 1841 feierte man in Stuttgart und an vielen anderen Orten im Land das 25jährige Regierungsjubiläum König Wilhelms I. Der im Jahre 1781 als Sohn des späteren ersten württembergischen Königs Friedrich I. geborene Wilhelm hatte am 31. Oktober 1816 den Thron bestiegen. Er starb 1864 im hohen Alter von 83 Jahren und regierte also insgesamt 48 Jahre unser Land.

Höhepunkt der Jubiläumsfeierlichkeiten war ein großer Festzug, der ihm zu Ehren einen Tag nach seinem 60. Geburtstag in der Stuttgarter Innenstadt stattfand. Auf einem Pferd sitzend, nahm König Wilhelm sichtlich bewegt die Huldigung der Festzugsteilnehmer vor dem Neuen Schloß entgegen. Die Königsfamilie, darunter der 18jährige Kronprinz Karl, verfolgte das Geschehen vom Schloßbalkon aus.

Wer war dieser König? Sein Regierungsantritt im Jahre 1816 wurde als Beginn einer neuen Epoche in Württemberg gesehen. Nach der absolutistischen Herrschaft seines Vaters lenkte Wilhelm die Geschicke des Landes in die Bahnen des Konstitutionalismus. Markstein dieser Entwicklung war die Verfassung vom 25. September 1819, in der Vorstellungen vom Gottesgnadentum des Monarchen mit denjenigen eines Vertrages zwischen König und Volk verschmolzen. Der König behielt sich wichtige Notstandsrechte vor. Der aus sechs Ministern bestehenden Regierung unter dem Vorsitz des Königs stand ein in zwei Kammern gegliedertes Parlament gegenüber. Daneben gab es noch einen Geheimen Rat. Wichtige Marksteine der Innen- und Verfassungspolitik waren die Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung, die Trennung von Verwaltung und Justiz, die Straffung der Bürokratie und die Verbesserung des Beamtenstandes. Der Regierungsstil des Königs war trotz Kompromißbereitschaft gegenüber liberalen Strömungen jedoch überwiegend autoritär.

In der ersten Hälfte seiner Regierungszeit galt das Interesse König Wilhelms vor allem dem Abbau der hohen Staatsschulden, der Förderung der Landwirtschaft (Bauernbefreiung 1817), der Schaffung neuer Sozialfürsorgeeinrichtungen und dem Ausgleich der Konfessionen. Im Verlaufe der Revolution von 1848/49 erkannte er zwar die Grundrechte und die neue Reichsverfassung an, löste dann aber doch später das in Stuttgart tagende Frankfurter Rumpfparlament mit militärischer Gewalt auf. Nach außen strebte er eine außenpolitische Machterweiterung gegenüber Preußen und österreich, eine Reform des Deutschen Bundes und Stärkung der deutschen Mittelstaaten an. Ambitionen auf die deutsche Kaiserwürde oder auf die Führung des Bundesfeldheers kamen hinzu.

Menschlich wird sein kühles, distanziertes Wesen hervorgehoben, so daß er von der Bevölkerung mehr geachtet als geliebt wurde, außerdem sein hohes Bildungsniveau und Kenntnisstand, was laufende Regierungsangelegenheiten betraf.

Kenntnis über die Zusammensetzung des Festzugs zum 25jährigen Regierungsjubiläum haben wir zum einen durch das Festprogramm, durch ein ausführliches Erinnerungsbuch und andere zeitgenössische Berichte, zum anderen durch die nachträgliche Herausgabe von zwei Bildzyklen. Der kleinere Zyklus ("zu haben bei R. Braun in Stuttgart, Brunnenstr. No. 28"), der in der Universitätsbibliothek Tübingen nur als Nachdruck vorhanden ist, besteht aus fünf großformatigen, mehrfarbigen Blättern, auf denen der gesamte Festzug platzsparend in einer geschlängelten Form wiedergegeben wird. Die einzelnen Personengruppen des Festzugs sind dabei in ihrer zahlenmäßigen Zusammensetzung erheblich reduziert und vereinfacht worden. Dieser "kleine Festzug" war wohl für den privaten Hausgebrauch als Erinnerung, etwa zum Aufhängen an der Wand, gedacht. Dies mag auch erklären, daß diese Blätter heute so selten sind; sie sind im Laufe der Zeit einfach "verbraucht" worden.

Demgegenüber ist der "große Festzug", von dem sich, soweit mir bekannt, nur in Stuttgart (Hauptstaatsarchiv) und in Tübingen (Universitätsbibliothek, Signatur: L I 32.4, außerdem auf CD-ROM, Signatur: 30 P 24)) Exemplare in öffentlichem Besitz befinden, in der Wiedergabe bei weitem präziser und insgesamt prächtiger. Herausgabe und Verkauf oblagen der Hofkunsthandlung C.F. Autenrieth, Königsstr. 19 B. Leider muß dieses sehr aufwendige Unternehmen ins Stocken geraten sein, denn die beiden noch bekannten Exemplare sind unvollständig. Sie brechen nach der Darstellung von etwa der Hälfte der insgesamt 12 Abteilungen des Festzugs ab. Nähere Umstände, was Herstellung, Auflage, Preis usw. betrifft, sind nicht bekannt. Man muß sich das Ganze - die Möglichkeit einer photographischen Wiedergabe gab es zu jener Zeit noch nicht - wohl so vorstellen, daß eine Reihe von Zeichnern während des gesamten Festzugs tätig war, die womöglich schon während der Proben das Wichtigste anhand des gedruckten Programms festgehalten haben. Sicher besaß man auch zeichnerische Entwürfe für die Planung des Festzugs. Die technische Herstellung oblag dann einer lithographischen Anstalt, deren Mehrfarbenlithographien von Hand nachgefärbt wurden, möglicherweise unter Zuhilfenahme von Schablonen. Das Tübinger Exemplar umfaßt 54 Einzelblätter, die sich ursprünglich auf einer Rolle befanden, so daß der Betrachter den Zug langsam abrollen mußte. Damit sich die Blätter nicht so stark wellen, wurde in der UB Tübingen die Rolle in 18 plan gefaltete Bögen zu je drei Einzelblättern aufgelöst. Insgesamt ergibt sich eine Bildlänge von 25 Metern!

Festzüge dieser Art waren vor allem im 19. Jahrhundert anläßlich von Fürstenjubiläen (Geburtstagen, Ehe- und Regierungsjubiläen), Feiern zur Wiederkehr bestimmter historischer Ereignisse (z.B. der Stuttgarter Festzug anläßlich der 400-Jahrfeier der Buchdruckerkunst im Jahre 1840 oder der Kölner Festzug von 1880 zur Vollendung des dortigen Doms) oder Jubiläen von Universitäten (etwa der Festzug zur 400-Jahrfeier der Tübinger Universität 1877) durchaus üblich, sie sind allerdings schon seit der Antike (etwa als Triumphzüge) und bis hinein in die Mitte des 20. Jahrhunderts belegt. Es besteht eine nahe Verwandtschaft zu kirchlichen Prozessionen. Die Blütezeit solcher zumeist "historischen Festzüge" war in Deutschland in der Zeit von 1871 bis 1914, dem Zeitalter des Historismus. Bei den Zeitgenossen müssen diese Festzüge einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben, bedenkt man etwa, daß "unser" Festzug von 1841 sich aus insgesamt 10.390 Personen (darunter auch der 102jährige Bäcker Merz aus Dürrwangen als ältester Teilnehmer) zusammensetzte, 9.736 Fußgängern und 640 Reitern sowie 716 Tieren. Ein wahrhaft imposantes Ereignis. Nach zeitgenössischen Berichten sollen über 200.000 Zuschauer den Festzug beobachtet haben (das Fünffache der Einwohnerzahl Stuttgarts). Einer der Biographen Wilhelms I., Karl-Johannes Grauer, hebt hervor, daß es sich bei diesem Festzug "nicht um ein offiziell in Szene gesetztes ‘Regierungsprogramm’, sondern um das sorgsam vorbereitete Ergebnis eines edlen Wettstreits aller Lebenskreise und Berufsstände des Königreichs" gehandelt habe. Erste Anstöße dazu kamen vom Landesgewerbeverein, dem sich die Vertreter der Landwirtschaft anschlossen. Ein großes Aktionskomitee, dessen Arbeit ganz gewiß mit Unterstützung und Billigung der Obrigkeit erfolgte, trat zur Vorbereitung erstmals im November 1840 in Hohenheim zusammen. Neben der Festlegung des Programms oblag diesem Komitee unter dem Vorsitz des Staatsministers Karl von Gärttner auch die Aufstellung eines privaten Ordnungsdienstes, der während des Festzugs von 360 Bürgern ganz ohne die Beteiligung von Polizei und Militär versehen wurde. Der Hofbaumeister Johann Michael Knapp sowie die Maler Carl Alexander und Manfred Heideloff entwarfen die äußere Gestaltung des Festzugs.

Am 28. September 1841 sammelten sich die einzelnen Abteilungen des Festzugs morgens um acht bzw. neun Uhr an eigens bezeichneten Sammelplätzen. Im Programm wurde vermerkt, "daß nur ruhige Pferde in den Zug gebracht, insbesondere unartige Hengste vermieden werden". Kinder sollten aus besonderer Vorsicht zu Hause gelassen, "zum wenigsten aber nicht auf solche Stellen gebracht werden, wo sie leicht Schaden nehmen können". Von den Sammelplätzen her kommend, reihten sich die Abteilungen vom Charlottenplatz über die Esslinger, Hauptstädter und Tübinger Straße in den Zug ein - ein nicht ganz einfaches logistisches Problem. Um 10.30 Uhr setzte sich dann die Spitze des Zuges unter Glockengeläut und "Lösen der Kanonen" in der Königsstraße in Richtung Schloßplatz in Bewegung; der Vorbeizug am Neuen Schloß endete nach etwa zwei Stunden, als alle Anwesenden nach dem eigens für diesen Anlaß gedichteten und komponierten Festlied "Welchen König darf man loben?" und einer Dankrede des Stadtschultheißen in das Tedeum ("Herr Gott, dich loben wir") einstimmten. Ein "Erinnungsblatt", das sich im Bestand der UB Tübingen befindet, zeigt die Anordnung der Teilnehmer auf dem Platz vor dem Neuen Schloß, der von einer hier provisorisch aufgestellten hölzernen Festsäule geschmückt wurde. Anstelle dieser Säule wurde auf Beschluß des Parlaments - die Initiative kam vom Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Karl Georg von Wächter (1797-1880) - von verschiedenen Künstlern des Landes eine prachtvolle 30 Meter hohe Jubiläumssäule angefertigt, die zwei Jahre später, am Geburtstag des Königs, feierlich enthüllt wurde und noch heute das Zentrum des Schloßplatzes ziert. Der Tag endete mit einem Feuerwerk auf der Prag (Straße von Stuttgart nach Ludwigsburg) und Freudenfeuern auf den umliegenden Höhen, die überdies auch im ganzen Land entzündet wurden. An zahlreichen Stellen des Landes setzte man Gedenksteine, pflanzte Bäume, prägte Gedenkmünzen oder begründete wohltätige Stiftungen; in Ulm, Reutlingen und einigen anderen Städten gab es sogar eigene Festzüge. In zahlreichen Gelegenheitsschriften wurde dem König - meist mit heute schwülstig erscheinenden Gedichten und Liedern - gehuldigt. So gab es von einem in Tübingen wirkenden Schulmeister und Dialektdichter, Wilhelm Friedrich Wüst (1796-1863), eine sehr volkstümliche Darstellung des Festzugs, gereimt in schwäbischer Mundart "Wie Frieder im Wirthshaus den Festzug der Württemberger erzählt". Ein nicht namentlich bekannter "vaterländischer Dichter" verfaßte aus diesem Anlaß ein württembergisches "God save the King", das auf die von Joseph Haydn komponierte Melodie "Heil dir im Siegerkranz" zu singen ist. Einige Gedichte verfaßte der dem Pietismus und der Erweckungsbewegung zugehörige Pfarrer und Liederdichter Albert Knapp. Von Eduard Mörike stammt ein ungedruckt und unaufgeführt gebliebener Operntext "Das Fest im Gebirge". Ansonsten waren die Verfasser von Lobgedichten und Festschriften heute meist unbekannte Schriftsteller der zweiten oder dritten Garnitur.

Insgesamt repräsentiert der Festzug die Vielfalt der damaligen Landwirtschaft und des Gewerbes, der Bildungseinrichtungen, des Militärs, der Städte und Kreise sowie der Repräsentanten von Staat und Kirche in ihren Uniformen und Trachten. Natürlich konnten auch bei der großen Ausgabe nicht alle Mitwirkenden gezeigt werden, wenn man nur an die etwa 2.000 Mitglieder von Sängergesellschaften und Liederkränzen denkt. Es war eine große Selbstdarstellung des Landes und vor allem auch ihres Bürgertums wenige Jahre vor der Revolution von 1848/49, "ein belehrendes Beispiel wahrer inniger übereinstimmung zwischen einem edlen hochherzigen Fürsten und seinem biederen glücklichen Volke", wie es in einem zeitgenössischen Flugblatt propagandistisch heißt.

Ich denke, viele Bilder sprechen in ihrer Schönheit für sich selbst. Nur auf wenige Besonderheiten möchte ich noch hinweisen. Der Stolz auf die im Jahre 1818 errungene Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung kommt gleich auf dem ersten Bogen zum Ausdruck: Auf einem eigenen Wagen liegt erhöht auf einem Samtkissen das Gemeindeverwaltungs-Edikt. Gegen Ende des Zugs - man sieht es nur auf dem kleinen Festzug - wurde die Verfassungsurkunde des Landes aus dem Jahre 1819 "in Urschrift auf einem rot-samtenen, mit Gold verzierten Kissen" getragen. Veteranen vertreten jene militärische Einheiten, die der König als Kronprinz während der Befreiungskriege gegen Napoleon befehligte. Besonders reichlich geschmückt sind die Festwagen der Landwirtschaft mit ihren jeweiligen Erzeugnissen. Am reichhaltigsten ist wohl der Wagen von den Fildern mit den dortigen Erzeugnissen Flachs, Hanf und Filderkraut, prächtig auch der mit einer großen Buche gezierte Wagen aus dem Schönbuch. Insgesamt gewährt uns dieser Festzug einen auch volkskundlich und wirtschaftsgeschichtlich interessanten Einblick in ein Stück politischer Festkultur aus der Zeit des Vormärz.

Gescannte Bilder des Festzugs der Württemberger

Gescannter Text des Festzugs der Württemberger




Literaturhinweise: